RammBlog

Horrortrip

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Bahnreisen sind ja nicht jedermanns Sache. Ich fahre gerne Bahn. Meistens. Was mir da vorgestern passiert ist, sprengt aber so ziemlich alles, was ich bisher erlebt habe. Ich habe auch lange überlegt, ob ich das überhaupt veröffentlichen soll (zumal mit Bildern), könnte es doch sein, dass jemand das hier zufällig liest, der betroffen ist. Es ist jedenfalls keine Sensationsgier, die mich treibt, sondern die Tatsache, dass mich das Erlebnis ziemlich aufgewühlt und mir schon 2 unangenehme Nächte beschert hat.


Ich bin auf dem Weg nach Köln. Mit mir im Wagen u.a. 4 junge Kerle von irgendeiner Sportfördereinheit der Bundeswehr. Einer davon sitzt bei mir am Tischchen (ich buche immer mit Tisch wegen dem Notebook – nur hatte ich diesmal gar keins dabei…) und spielt unablässig FIFA Fussballmanager, ohne dabei den grausamen Ton abzuschalten. Man gewöhnt sich an alles. Wenigstens quatscht er mich nich voll. Nach einer guten Stunde Fahrt hält der ICE plötzlich auf offener Strecke. Nach geraumer Zeit die Durchsage, dass sich auf der Gegenstrecke ein Unfall ereignet hätte und die Strecke mindestens eine Stunde komplett gesperrt wäre. Mindestens eine Stunde FIFA-Fussballmanager-Musik ohne erlösendes Fahrtrauschen. Ich versuche zu schlafen. Die Bahn gibt wegen der Wartezeit alkoholfreie Getränke aus. Immerhin.
Nach einiger Zeit eine erneute Durchsage. Es handele sich um einen Unfall mit Personenschaden und der andere ICE sei nicht mehr fahrtüchtig. Wir würden bis zur Unfallstelle vorfahren und den Zug evakuieren. Zugbegleiterinnen legen Warnwesten an und beginnen hektisch zwischen den Wagen im Türbereich die Deckenverkleidung abzumontieren, unter der Rettungsleitern zum Vorschein kommen. Wir fahren sehr langsam, es ist sommerlich heiss und auf einem kleinen Weg entlang der Strecke beginnen Schaulustige aufzutauchen. Wir nähern uns offensichtlich dem Unfallort. Als ich die Rettungskräfte erblicke will ich von der Szenerie schnell ein Foto durchs Fenster schiessen und bemerke dabei nicht, dass sich von rechts das Geschehen bereits ins Bild bewegt. Der ICE scheint an der Front sehr beschädigt zu sein. Plötzlich höre ich, als wir unmittelbar die Zugspitze passieren, einen Aufschrei im Wagen und muss unweigerlich aus dem Fenster schauen. Ein grauenhaftes Bild von dem, was einmal ein Mensch war, bietet sich an der Zugspitze, nur kläglich verdeckt durch zwei davor postierte Sanitäter. Einzelheiten erspare ich Euch und mir. Glaubt mir: Ihr wollt es nicht wissen. Mir wird sofort unfassbar Ãœbel und irgendwie fange ich auch leicht an zu zittern. So etwas habe ich noch nie gesehen und ich hätte auch keinen Wert darauf gelegt. Es ist mir komplett unverständlich, wie man einen ICE – besetzt mit Kindern, Alten und Weicheiern wie mir – im Schritttempo an einer solchen Szenerie vorbei fahren lassen kann. Ein Tuch, eine Decke davor halten ist ja wohl das Mindeste, was man tun kann.

Unfall

Die Jugend scheint mit dem Anblick keine weitreichenden Probleme zu haben. Jedenfalls wird alles genau betrachtet und für jeden im Wagen auch gut hörbar kommentiert. Kurz danach bleiben wir stehen und die Türen der beiden Züge werden mit den vorbereiteten Leitern brückenähnlich verbunden.

Evakuierung

Offensichtlich ist man sich noch nicht einig, wie der Passagieraustausch vor sich gehen soll. Mir wird langsam besser und die Situation bekommt kurzzeitig etwas von einer Szene aus einem Hollywood-Action-Blockbuster. Nach und nach steigen alle Passagiere des Unfallzuges samt Gepäck über die Behelfsbrücke in unseren Zug.

Evakuierung

Die Leute müssen wieder mit zurück nach Wolfsburg und dort in einen Ersatzzug steigen. Erstaunlicherweise wurden ihnen keine Getränke angeboten und auch die Informationen zur Situation flossen nur sehr spärlich. Nach weit über 2 Stunden können wir die Fahrt fortsetzen – gen Westen.
Mitten in der Nacht komme ich in Köln an und schleppe mich ins Hotel. Irgendwie bin ich völlig neben der Spur. Ich muss nochmal raus auf ein, zwei Bier Kölsch. Vorbei am nächtlich beleuchteten Dom schaffe ich es noch bis zu Früh auf ein paar Kölsch und einen Halven Hahn.
Zurück im Hotel nimmt mich die Bar noch in ihren Schoß. Auf andere Gedanken kann auch sie mich nicht bringen.

Bar Hotel Star

Die nacht ist kein Zuckerschlecken. Ich habe das Gefühl, ich schlafe keine Sekunde. Wenn ich doch mal einschlafe, wache ich schweißgebadet aus einem Albtraum auf. Irgendwie sehe ich nur noch Züge, scheine ins Bodenlose zu fallen oder versuche, irgendeine Person von den Gleisen zu zerren. Bevor der Wecker klingelt, falle ich noch einmal von der obersten Etage des Berliner Hauptbahnhofs bis ganz nach unten.
Unausgeschlafen und ohne Hunger mache ich mich gestern Morgen auf den Weg zum Bahnhof. Ich muss mit der S-Bahn weiter. Bei jeder Zugdurchfahrt zucke ich zusammen, bewege mich weiter als üblich von der Bahnsteigkante weg und hoffe, dass sich niemand vor den Zug wirft.
Die Rückfahrt verläuft reibungslos. Schlafen konnte ich, trotz extremer Müdigkeit, keine Sekunde. Irgendwie war das Gefühl da, jeden Moment macht das Ding eine Vollbremsung. Wieder zu Hause, habe ich ein mulmiges Gefühl dabei, ins Bett zu gehen. Ich werde nicht „enttäuscht“. Das Fallen habe ich offensichtlich nicht verlernt und Züge waren auch wieder Teil des Geschehens. Die Träume werden unschärfer, aber das Gefühl nach dem Aufwachen ist immernoch da.

Ich geh jetzt schlafen. Hoffentlich traumlos.

5 Kommentare

  1. Harter Tobak. Ich befürchte, das wird dich noch eine Weile beschäftigen. Leider hab ich keine Patentlösung.

  2. Ich denke, dass es richtig und wichtig fir DICH ist, darüber zu schreiben, zu reden. Da kann keiner von uns richtig helfen, außer lesen resp. zuhören.

  3. Na ja, es ist ja nicht so, dass ich jetzt ein nervliches Wrack wäre. Jedenfalls nicht deshalb… ;-)
    Die letzte Nacht war auch wieder normal.

  4. hi andi, ich bin bei dir, habe aehnliches vor ca. 20 jahren am platz der einheit im zusammenhang mit einem strassenh´bahnunfall erlebt. nur das ich an dem opfer das unter den raedern lag, sehr na dran war und „es“ die letzten sekunden begleitet habe…
    Es ist aber jetzt „nur“ noch eine errinnerung!

  5. andreas: ich bin sehr froh, dass ich sowas bisher nicht aus der nähe erleben musste. ich bin da auch nicht unbedingt für geboren. auch wenn ich weiss, dass der adrenalinschub in der konkreten situation da einiges abschaltet. trotzdem konnte ich so direkte begegnungen mit dem tod – zum glück – verhindern. und genau deshalb hat mich das ganze ja so aus der kurve geworfen.

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